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Über die Liebe

Liebe ist im energetischen Sinne eine konstruktive Interferenz = Überlagerung wie Verschmelzung aller psychischen Muster, die sich dem menschlichen Verstand als Gefühle oder Emotionen mitteilen. Liebe ist vergleichbar mit dem weißen Licht, das eine Synthese aus allen Farben des sichtbaren Spektrums ist. Man kann diese Farben aus dem weißen Licht einzeln herausfiltern – wie dies auch im Regenbogen geschieht - und sie sogar aus dem Farbspektrum löschen. Dieses physikalische Modell aus der Optik werden wir nun anwenden, um den "unfassbaren" Bereich der Psyche begreiflich zu machen.   

Wird ein Gefühl mit einem bestimmten Begriff erfasst, so ist es nicht möglich, seine individuelle Echtheit und Gleichartigkeit bei allen Menschen zu überprüfen. Es besteht keine Möglichkeit, das Gefühl objektiv zu erfassen und nachzuweisen, dass der Begriff stets für ein und dieselbe psychische Empfindung angewandt wird, wie dies bei der Erfassung von sichtbaren materiellen Dingen der Fall ist. Offensichtlich beinhaltet der Bereich der Psyche eine innewohnende Unbestimmbareit, die sich nur sehr unvollkommen in Worten ausdrücken lässt. In der Tat, es gibt so viele verschiedene Gefühlsmuster wie individuelle Persönlichkeiten, deren auf der feinstofflichen Ebene vorgefertigte, einmalige psychische Struktur eine ebenso einzigartige Prägung durch die individuelle irdische Erfahrung erhält.

Das Gefühl der "Liebe" vermittelt auf der psychomentalen und körperlichen Ebene die Empfindung einer positiven Überlagerung mit den unsterblichen Seelenbereichen. Im Idealfall fühlt sich Liebe als ein exstatisches Gefühl der göttlichen Glückseligkeit an (Sanskrit: Devanand), das alle 7 Energiezentren des Körpers öffnet wie entgrenzt.  

Ekstase ist ein Zustand, den nur wenige alte Seelen erreichen können, bei denen die dichtesten Schichten der Angst bereits abgebaut sind. Da die meisten Menschen junge Seelen sind und eine Ekstase noch nicht erlebt haben, können sie sich nichts Konkretes darunter vorstellen, auch wenn sie den Begriff theoretisch kennen.  

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen Professor in Heidelberg, der eine zweisemestrige Vorlesung über den Begriff des „Eros“ bei Platon hielt und sehr sprachgewandt dieses, wie er sich auszudrücken pflegte, „eigentümliche und geheimnisvolle Gefühl“ in unzähligen Schattierungen und Redewendungen zu beschreiben versuchte, wobei es ihm deutlich anzumerken war, dass er weder die Ekstase des Eros, noch die geistig-sinnliche Berauschung, die eine aus dem Innersten der Seele sprudelnde Kreativität auslöst, jemals erlebt hatte und diese Vorlesung krampfhaft als Möglichkeit nutzte, sich dem platonischen Eros rein intellektuell zu nähern, während dessen seine Zentren der Liebe, Spiritualität und Ekstase von der göttlichen Kraft der Seele völlig unberührt zu sein schienen.  

Dies führt bei gläubigen Menschen häufig zu Verkrampfungen und Verwirrungen der Psyche, weil sie das Fehlen transzendenter, exstatischer Erfahrungen mit dem Göttlichen durch religiösen Eifer zu ersetzen versuchen. Intellektuell zentrierte Menschen sind davon nicht betroffen, weil sie bestrebt sind, ihre psychischen Defizite durch rein geistige Beschäftigungen zu kompensieren und den Gefühlen meistens keine Beachtung schenken.  

Ähnlich verhält es sich mit der Liebe. Was man heutzutage unter Liebe versteht, sei es in der Literatur, Kunst oder im Alltagsleben, hat in den allermeisten Fällen nichts mit dem ursprünglichen hohen Ideal der Liebe zu tun, sondern lediglich mit angstbedingten Interpretationen diverser Abhängigkeitsmuster, die unter dem Begriff "Liebe" zusammengefasst werden. Dieser Umstand erklärt die vielen Verwirrungen und Missverständnisse, die nirgendwo so massiv auftreten wie in den Liebesbeziehungen und Stoff für unzählige literarische Verarbeitungen liefern. Sogar der Ausdruck "bedingungslose Liebe", der sich von der gewöhnlichen Auffassung der Liebe deutlich unterscheidet, ist eher ungeschickt, nämlich eine Tautologie - die Häufung zweier gleichbedeutender Wörter: diese Liebe ist stets bedingungslos.

Betrachtet man die Liebe als eine Empfindung aus den feinstofflichen wie geistigen Ebenen - eine andere wahrheitsgetreue Betrachtungsweise gibt es nicht -, dann beschreibt dieser Begriff einen weit fortgeschrittenen Zustand der konstruktiven Interferenz = Überlagerung wie Verschmelzung unzähliger Erfahrungen auf der psychischen Ebene, der auch vom Verstand uneingeschränkt und in voller Bewusstheit akzeptiert und verinnerlicht wird. Einen solchen Zustand kann eine inkarnierte Seele erst am Ende ihres "Weges der Liebe und der Erkenntnis" erreichen, d. h., erst am Ende ihres Inkarnationszyklus. Irdische Liebe ist somit kein Zustand, sondern ein Prozess.

Der Mensch muss alle Gefühlsspektren, die von den erhabensten und den abgründigsten Erfahrungen ausgelöst werden, erfahren, er muss auf der Intensitätsskala der Gefühle immer wieder rauf und runter, bis er lernt, mit ihnen schöpferisch umzugehen. Es leuchtet ein, dass sich der Verstand bei dieser Übung ununterbrochen der Herausforderung stellen muss, Herr der ungeheueren emotionalen Energien zu werden. Der menschliche Verstand muss ein Leben lang die Rolle des emotionalen Dompteurs spielen, auch in solchen Augenblicken, in denen die Gefühle scheinbar vor sich hin schlummern.  

Der richtige Umgang mit dem gesamten Spektrum der Gefühle kann nicht innerhalb einer Inkarnation erlernt werden. Auch ein Inkarnationszyklus aus 70-80 Leben reicht nicht aus, um alle Emotionen und Gefühlsintensitäten zu erfahren und zu bewältigen. Was der Mensch allerdings erreichen kann, ist ein tiefes Verständnis für alle Gefühle und eine uneingeschränkte Akzeptanz aus der Erkenntnis heraus, dass alle positiven und negativen Emotionen ein unzertrennbarer Teil seiner irdischen Existenz sind, die mit zunehmender Erfahrung zu einem harmonischen Ganzen verschmelzen, weil sie sich von ihrer Grundanlage her nicht ausschließen.  

Wie das weiße Licht, das aus der Verschmelzung aller sichtbaren Spektralfarben entsteht, die jederzeit erneut einzeln betrachtet werden können, so ist auch die Liebe die Synthese aus der Verschmelzung aller Gefühle - der freudigen wie der schmerzlichen -, die jederzeit auch von alten Seelen gesondert erfahren werden können. Liebe ist die konstruktive Überlagerung aller Gefühle ohne Ausnahme. Diese Verschmelzung manifestiert sich auf der Ebene des Verstandes als bedingungslose Akzeptanz.  

Man kann sich innerhalb dieses Modells nun vorstellen, dass jede Spektralfarbe einem bestimmten Gefühlsmuster zugeordnet werden kann, zum Beispiel: die rote Farbe - der Wut, die grüne Farbe - dem Neid, die gelbe Farbe - der Eifersucht, die violette Farbe - der Trauer usw.

Der Mensch durchlebt alle Farben und Gefühle während seiner irdischen Inkarnationen und speichert sie als emotionales Gedächtnis. Im Verlauf dieses Prozesses erkennt er, dass die psychische Energie, wie alle Energie überhaupt, ständig in Bewegung ist, so dass er nicht immer wütend, traurig, neidisch oder eifersüchtig sein kann, sondern auch Augenblicke der Zufriedenheit, Glückseligkeit, Großmütigkeit usw. erlebt. Mit steigender Erfahrung lernt der Mensch mit diesen flüchtigen Gefühlszuständen verstandesmäßig immer sicherer umzugehen und sie in eine gewünschte Richtung zu lenken, indem er sie als Teil seiner irdischen Identität akzeptiert und in Einklang miteinander bringt. Auf diese Weise erhöht die menschliche Persönlichkeit die Schwingungen ihres Fühlens und Denkens und baut niederfrequente Angstmuster ab.  

Von Inkarnation zu Inkarnation entwickelt die Persönlichkeit die Fähigkeit, ihre vielfältigen Gefühle zu harmonisieren und in Liebe umzuwandeln. Eine schmerzliche Erfahrung, die jeder Mensch im Inkarnationsprozess macht, ist, dass man seine Gefühle nicht leugnen kann, denn in diesem Fall lösen sie sich nicht auf, sondern verdichten sich energetisch und werden tief ins zelluläre Gedächtnis gespeichert. Von dort aus können sie beim geringsten Anlass mit großer Gewalt nach außen ausbrechen und Unheil anrichten.  

Die "belle epoque" des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jhdts., die von der Idee einer kleinbürgerlichen Idylle geprägt war, in der Gewalt, Hass und Aggression äußerlich nicht vorkamen, sondern höchstens in der wissenschaftlich permissiven Form einer Psychoanalyse, mündete bekanntlich in die unvorstellbaren Grausamkeiten des 1. Weltkriegs, der diese Idylle mit einem Schlag für immer zunichte machte.  

Energie muss fließen - vor allem die Energie der Gefühle. Es ist einer der größten Irrtümer zu glauben, dass der Mensch negative Gefühle wie Hass, Aggression, Habsucht usw. unterdrücken muss, um positive Gefühle zu entwickeln. Diese Idee feiert in dem manipulativen Konzept der „Political Correctness“ zur Zeit eine beispiellose Renaissance.  

Indem man Hass unterdrückt, wird man jedoch keine Liebe erzeugen, denn Liebe ist nicht das Gegenteil von Hass. Gefühle schließen sich nicht gegenseitig aus,  sie vermischen und addieren sich wie die Spektralfarben, um das weiße Licht der Liebe zu erzeugen. Erst wenn das gesamte Spektrum der Gefühle vorhanden ist, kann das weiße Licht der Liebe entstehen. Aus dieser Betrachtung folgt, dass Gefühle extrem dynamische, fließende energetische Zustände sind, die sich verbal nicht in festen Begriffen ausdrücken lassen.  

Die statische Auffassung vom Wesen der Gefühle ist die Hauptquelle unzähliger Verirrungen und Illusionen, die so hartnäckig und widerspenstig sind, dass jede noch so schmerzliche Erfahrung sie anscheinend nicht austilgen kann. Eine häufige Illusion von der „Liebe zu zweit“ ist, dass sie im Idealfall ewig und unverbrüchlich sein soll - die Zweisamkeit soll als Bollwerk gegen die Unbill des Lebens standhalten und ewiges Glück gewähren. In dieser Illusion spielt die Idee von der Liebe als einem Vorgang des Gebens und Nehmens eine zentrale Rolle.

Der Mensch fühlt sich unglücklich und glaubt, dass er vom Partner geliebt werden muss, also von ihm Liebe erhalten muss, um glücklich zu sein; oder er ist unglücklich, weil er vom Partner nicht ausreichend Liebe bekommt.

Die Liebe wird als eine Art Tauschware betrachtet, die zudem eine Mangelware ist, so dass die meisten Menschen unter den gegebenen soziokulturellen Bedingungen an der Liebe wie an einem kostbaren Fetisch kleben und bei dieser psychischen Verrenkung diverse negative Gefühle wie Eifersucht, Neid, Minderwertigkeit entwickeln, mit denen sie dann ein Leben lang hadern. Was dabei auf der Strecke blieb, ist die Liebe selbst.  

Die Liebe ist, wie gesagt, ein psychomentaler Zustand der Seelenreife. Der Mensch muss nicht von einer anderen Person geliebt werden, um glücklich zu sein und er kann es auch nicht. Vielmehr muss sich der Mensch zuallererst selbst bedingungslos, mit allen positiven und negativen Eigenschaften lieben und diese Liebe dann auf andere Menschen ausstrahlen. Da die Liebe noch mehr Liebe anzieht, werden sich genügend Menschen finden, die diese Liebe, die aus einer zufriedenen und glücklichen Person ausströmt, empfangen und erwidern. Ist ein Mensch von sich aus zerrissen und von niederen Angstgefühlen getrieben, dann vermag auch eine noch so große Liebe nicht, ihn auf Dauer glücklich und zufrieden zu machen.  

Jeder Mensch muss daher lernen, die Liebe zuerst in sich selbst zu formen, indem er die widerstrebenden Gefühle seiner Psyche in Harmonie bringt. Eine wichtige Erkenntnis, die jeder Mensch auf dieser Erde macht, ist, dass eine vollkommene Liebe zu zweit im physischen Körper nicht möglich ist, da der Mensch im inkarnierten Zustand energetisch getrennt erscheint und sich unweigerlich einsam fühlen muss, auch wenn er nie alleine ist: seine entkörperten Seelengeschwister stehen in einem unablässigen Kontakt mit ihm und vermitteln ihm eine transzendente Liebe, die er während der wenigen Jahre auf der Erde als eine unerfüllbare Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies erfährt.


Aus: Stankov, Georgi: Gnostische Tradition der abendländischen Philosophie, Teil 3: Die Sprache als Grenze der Gnosis S. 244ff, modifiziert von Otfried Weise